Dich abgebrochenen, Zweig vom Apfelbaum,
Erstarrt und kalt,
Dich hol ich zum warmen Winterraum.
Ich weiß, du blühst mir bald.
Ein klares Wasser richt ich dir im Krug.
Der Ruf des Lichts 
Ergeht an dich. Ihn hören ist genug.
Aus dir vermagst du nichts.
Lass die erwartungsvollen Wochen still
Vorübergehn,
Der Christnacht, die auch dich erlösen will.
Wird niemand widerstehn.
Erstarrter, abgebrochener Apfelzweig,
Dein Traum war tief.
Nun kam die Segensstunde. Und nun zeig,
was in dir schwieg und schlief.

Lizzy Jöckel

Meditative Deutung: (Franz Voß)

Dich abgebrochenen,
das Komma lässt uns stutzen,
Zweig vom Apfelbaum.
Du?
Wen meint die Autorin,
spricht sie zu sich selbst,
spricht sie zum Hörer oder Leser?

Nicht Kirschbaum,
wie wir zu Barbara alle erwarten,
sondern Apfelbaum.
Der Apfelbaum
Sinnbild unverwelklicher Jugend,
wie sie die nordische Göttin Iduna einst verhieß?
Erstarrt und kalt!
Dahin?
Oder? –

Einen Moment lang wähnte ich
Das Leben in meiner Kraft zu haben,
doch vorbei!
Gebrochen?
Abgebrochen gar vom Stamm der Fruchtbarkeit –
Dem Apfelbaum.
Jahrelang aß ich von ihm
Und machte in der Hoffnung auf Unsterblichkeit
Doch nur Erfahrungen des Sterblichen.

Das braucht Tröstung:
„Dich hol ich zum warmen Winterraum“,
Dich abgebrochenen,
Dich hole ich in die Brutwärme.

Der Blick wendet sich
Und geht
In unbeirrbarem Erfahrungswissen
Über auf den Apfelzweig, dass er blühen wird
In klarem Wasser
Im Krug.

Es reicht das Hören
Des Rufs des Lichtes
Und es geschieht.

Nicht aus eigener Kraft
Sondern im Warten,
im Vorübergang des Geheimnisses
der Erlösung der Christnacht.

Im behutsamen Bereitstellen und Hinhalten,
im Hören und Wartenkönnen –
Ergeht es.

Wenn genug Wasser
Im Krug der irdenen Begierden ist
Und die sinnliche Reizung des Lichtes ergeht,
wird der Ruf des Lebens gehört
und ihm wird nichts und niemand,
weder Apfelzweig noch du und ich
widerstehen.

Die Bilder gehen ineinander über,
die ungewohnten Satzzeichen
zeigen das.
Wie auf den Bildern des Barock
Der Apfel in der Hand des Todes
Seine Unerbittlichkeit unterläuft,
zeichnet sich in der Christnacht ab
dass die andere Seite des Apfelbaums der Kreuzesstamm
der Lebensbaum ist, dessen Äpfel
am Christbaum zum Zeichen
des wiedereroberten Paradieses werden.

„Dein Traum war tief“,
mein Traum
für mich erstarrten
abgebrochenen Apfelzweig.

Tief,
wie der Traum der Menschheit,
Jahrtausende alt,
voller Sehnsucht
und doch
von unendlicher Lähmung,
bis die Segenstunde kam.

Der Ruach Jahwe
Der Gottesgeist,
brütet heraus,
dass das Leben selbst
sich bewegt und regt
im Abgebrochenen.

Was schwieg und schlief,
kann sich durch ihn befreit
nun selbst zeigen.

Musik: „Of a Rose, a lovely Rose, of a Rose is all my song.“ aus dem Magnifikat von John Rutter mit den Limburger Domsingknaben, Solistin Alison Browner. (2)

Bevor wir diese „Oase der Stille“ verlassen und uns wieder den Dingen zuwenden, die uns
im Alltag wichtig sind, die Menschen, die wir lieben, die uns anvertraut sind und uns vielleicht Kummer machen, weil auch sie die Hoffnung brauchen, die der zarte Trieb der Wurzel Jesse verheißt, bitten wir Gott um seinen Segen:
Der Herr segne uns und behüte uns, damit wir uns nicht ängstigen und erschrecken lassen.

Der Herr lasse sein Angesicht über uns leuchten, damit uns aufgeht, wie vergänglich so vieles ist, an das wir uns hängen und sei uns gnädig.

Der Herr erhebe sein Angesicht über uns, damit wir die Hoffnung erkennen, die uns in seinem Kommen verheißen ist und den Traum vom Frieden nicht verlieren. Darum bitten wir im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes. Amen.

Franz Voß, Mettingen

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