Was wir vor uns auch gebracht,
Pflugschar rauscht darüber,
Fährmann steht am Saum der Nacht,
und es ruft: „Hol über!“

Kind und Stern und Dach und Tier,
So begann die Reise,
Und so endet’s dir wie mir:
Erste, letzte Speise.

Aus den Windeln lächelt’s stumm
Zu der Mutter Neigen,
Ochs und Esel stehn herum,
Und die Sterne schweigen.

Schuld und Fehde rechnen nicht,
Jedes Herz muss tragen,
Scheine wieder, sanftes Licht,
Wie in Kindertagen.

Tief darüber beug ich mich,
Gleichnis allen Lebens,
Ende fügt zum Anfang sich,
Nichts scheint mehr vergebens.

Wenn sich jede Tür verschließt,
Eins kannst du bewahren:
Dass du vor der Liebe kniest,
Noch in weißen Haaren.

Ernst Wiechert (1887 – 1950)

Meditation :
„Komm nun wieder, stille Zeit“, so beginnt und heißt dieses Gedicht von Ernst Wiechert. Ausdruck der Sehnsucht, den geschäftlichen Lärm und den inneren Geräuschpegel hinter sich lassen und still werden zu können. „Komm nun wieder, stille Zeit, Krippe, Stern und Kerzen“, fährt es fort und man könnte vermuten, dass Wiechert einer süßen Versuchung unterliegt, einer billigen Vertröstung Vorschub zu leisten, in dem er all das zurückholen möchte, was wir als Kinder und junge Menschen empfunden haben. Weihnachten scheint bei Ihm Gefahr zu laufen als festliche Idylle zu verkommen, billiger Harmoniekitt zu werden, der vorübergehend die Fuge „in all dem Erdenleid diese Welt verschmerzen“ ausfüllt. Wir wissen, Wiechert ‚ver’lebte im buchstäblichen Sinne des Wortes seine Jugendzeit im ersten Weltkrieg und kehrte schwer angeschlagen zurück, später folgte die innere Emigration in der Hitlerzeit. So weiß er, dass das Leben selbst nicht heilt: „Zwischen meinen Fingern rinnt still der Sand des Lebens“.
Nun gehen verschiedene Bilder ineinander über: Der Marionettengott der Spätaufklärer mischt sich mit den Schicksal spinnenden Parsen und den Los werfenden Moiren der Antike. Doch vergebens, all unser Erleben und Tun geht mit dem Fährmann Charon den Bach hinunter in den Hades, dem Ort der Unerbittlichkeit und endgültigen Unwiederbringlichkeit. „Weiß nicht, was der Weber spinnt, Doch er spinnt vergebens. Was wir vor uns auch gebracht, Pflugschar rauscht darüber, Fährmann steht am Saum der Nacht, Und es ruft: „Hol über!“
Wenn alles vergeblich ist, die Pflugschar darüber rauscht, das Feld des Lebens einplaniert wird und jedem von uns das unausweichliche „Hol über“ entgegenschallt, gibt es da Hoffnung in dieser Nacht der Dunkelheiten und Abgründe, an deren Saum der Fährmann steht?
Auf der einen Seite ist die Nacht dieser dunkle Symbolträger, auf der anderen Seite heilt aber auch die Nacht und bringt Trost. In der Nacht geschehen die Dinge für uns (pro nobis). In einfachen Bildern der Hoffnung des Gedichtes wird diese Erinnerung wach, Erfahrung als gedeutete Erinnerung lebendig. „Kind und Stern und Dach und Tier, so begann die Reise, und so endet’s dir wie mir: erste, letzte Speise“. Die Heilung kommt über Nacht, muss von der Wurzel her kommen. Weihnachten muss von der Wurzel her heilen: erste Speise-letzte Speise. Diese Wurzel aber ist das Kind Jesus Christus, das Wort Gottes, das Fleisch wird. Im Schutz der Krippe begann die Reise, im Schutz des Kreuzes endet sie.
Im Kind, im Stern, in der mütterlichen Neigung Mariens, im Stehen und Schweigen der Kreatur: Ochs und Esel, Stern und Dach kommt Gott in der Stille, im Schweigen der Nacht zur Welt. Da hat es begonnen, da ist Gott selbst herausgetreten: „Deus de Deo“ und zu uns gekommen. „Aus den Windeln lächelt’s stumm zu der Mutter Neigen, Ochs und Esel stehn herum, und die Sterne schweigen“. Kreatur und Natur halten den Atem an, ob des lumen de lumine, der Absicht Gottes, die Welt in seine Nähe zu ziehen, hinein zu leuchten in die arme Erde und ihre Leere zu füllen. Da beginnt der Schutz für Menschen in ausweglosen Situationen: Asylsuchende, Obdach- und Arbeitslose Alleinerziehende, Hungernde und Kranke, Verfolgte und Verletzte jeglicher Art. Da ist auch er angefangen, wo wir angefangen sind als Mensch, als Kind und hat am Kreuz unser Erdenleid, unsere Nacht aufgesucht, diese Nächte des Unheimlichen und Finsteren, des Wesenlosen und Gefahrvollen, der langen Schatten und des Todes. Weihnachten heißt, sich dieser Nacht der Welt stellen.
Das geht aber nur in dem tiefen Bewusstsein, dass in dem Lächeln des Kindes, das seiner sich zu ihm neigenden Mutter gilt, die ganze Menschheit von Gott angesehen wird und nur in diesem „Mich sehen“ Gottes, in seiner Liebe sind Schuld und Fehde zu ertragen, und in diesem Hoffnungsbild des Kindes wird wie in Kindertagen Vergebung und Angenommensein deutlich. „Schuld und Fehde rechnen nicht, jedes Herz muss tragen, scheine wieder, sanftes Licht, wie in Kindertagen“.
Diese Botschaft des Weihnachtsevangeliums kann man nur auf den Knien wahrnehmen. „Tief darüber beug ich mich, Gleichnis allen Lebens, Ende fügt zum Anfang sich, nichts scheint mir vergebens“. Unser ‚gescheites’ Denken muss sich nieder bücken, freimachen von Vorurteilen und Meinungen, auch solchen des Glaubens. Dann kann sie erst zur Wende unseres Lebens werden. Nicht die, die schon immer alles wussten, die Großen der Welt, die Schriftgelehrten, begriffen, was dort im Stall von Bethlehem eigentlich geschah, sondern diejenigen,
die ihr Wissen aus lebendiger Verbundenheit mit dem Menschen, aus dem Offensein für alle Lebensvorgänge um sich herum erfuhren: die Kleinen, die Kinder, die Hirten. Sie waren es, die die Botschaft des „Natus est Christus“ überwältigte, weil sie schlicht liebten, und deshalb ihre Überzeugungen vorurteilsfrei umkrempeln und ihr Leben ändern konnten. Und so sind sie in ihrer gleichnishaften Existenz auf seltsame Weise der Schlüssel zum Begreifen des Anfangs und des Endes, das letztlich nichts vergebens ist. „Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“ Lk.18,17
Wenn sich dann nach und nach jede Tür verschließ, das heißt, Zeiten der Krankheit eintreten, der Verlust eines lieben Menschen, das Ausgebranntsein durch Arbeitsüberlastung, Zeiten der üblen Nachrede, der Anfeindungen und sonstiger Verletzungen, schließlich das Leben in Altersbeschwertheit langsam endet, bleibt das eine, das wir uns diese Erfahrung seid Kindertagen bewahren können: „Dass Du vor der Liebe kniest, noch in weißen Haaren.“ Denn „die Liebe hört niemals auf.“ 1 Kor. 13,8a.

Musik: „Natus est nobis“ von Jacobus Gallus (1550-1571) gesungen von Camerata Musica Limburg


* In den Jahren 2005 und 2008 besuchte das Vokalensemble „Camerata Musica Limburg Limburg“ Münster und gab jeweils ein Konzert in der Überwasserkirche bzw. im Dom und kam auch nach Mettingen in die Gemeinde St. Agatha, gab Konzerte und gestaltete Gottesdienste in der Kirche St. Agatha und in St. Mariae Himmelfahrt in Schlickelde.
Das Vokal-Ensemble Camerata Musica Limburg wurde im Herbst 1999 gegründet. Die meisten der 12 Sänger erhielten ihre erste musikalische Ausbildung bei den Limburger Domsingknaben im Musischen Internat der Diözese Limburg in Hadamar, dessen ehemaliger Direktor Franz Voß heute als Pensionär in Mettingen lebt und als Religionslehrer am Comenius-Kolleg tätig ist. Dort lernten sie, neben anspruchsvollen Werken für gemischte Chöre auch die Männerchorliteratur kennen und schätzen. Um noch nach dem Ausscheiden aus den Reihen der Domsingknaben weiterhin gemeinsam auf hohem Niveau musizieren zu können, gründete man diesen Chor. In relativ kurzer Zeit hat sich das Ensemble ein breites Repertoire angeeignet, das Chorkompositionen aller Sparten und Epochen umfasst. Mit zahlreichen Konzerten in Limburg und Umgebung konnte Camerata Musica Limburg in den letzten Jahren ein breites Publikum gewinnen und wusste Zuhörer und Presse stets zu begeistern. Verschiedene Engagements führten das Ensemble auch über den heimischen Raum hinaus, so zuletzt im Oktober 2003 und Mai 2004 zu Konzerten in der Basilika „Kloster Eberbach“ (Rheingau). Den bislang größten Erfolg in der noch sehr jungen Geschichte ihres Chores, konnten die Sänger von „Camerata Musica Limburg“ im Oktober 2004 feiern. Beim erstmals veranstalteten hr-klassik- Chorwettbewerb, welcher im Sendesaal des Hessischen Rundfunks in Frankfurt ausgetragenen wurde, konnten sie sich gegen starke Konkurrenz durchsetzten und wurden von der fachkundigen Jury mit dem Titel hr-klassik – „Chor des Jahres 2004“ ausgezeichnet.
Unter dem Titel „Natus est nobis“, zu dem Franz Voß die Einleitungsmeditation schrieb, erschien 2004 eine CD mit Chormusik zur Advents- und Weihnachtszeit.

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