Abwischen wird mein Herr, er,
von all jedem Antlitz die Träne,
und die Schmach seines Volkes abtun
von allem Erdland.
Ja geredet hat er.
Sprechen wird man an jenem Tag:
„Da, dies ist unser Gott,
auf den wir hofften, dass er uns befreie,
dies ist der, auf den wir hofften!
Jubeln wir!
Freuen wir uns seiner Befreiung!
Der Kontext, in dem diese Verse des Isaias stehen, ist der Untergang Babels, die Chaosstadt schlechthin. Die positive persische Religionspolitik wird als Äonenwende gefeiert. Jahwe wird gefeiert als Zuflucht der Schwachen, der Armen in ihrer Not. Ihm geht es nicht um Unterwerfung, sondern um Heil für alle Völker und Menschen. So geht es in dieser Kurz-Meditation, die ich in dieser Fastenzeit vorlege, um das Bild und die Wirklichkeit, die mit diesem Bild gegeben ist: Gott wischt die Tränen ab. Ein Bild, so meine ich, das sehr gut in diese Zeit jetzt passt, in diese „Fasten- und Osterzeit“, in der wiederum Menschen gejagt und Christen gemordet werden und ganze Völker auf der Flucht sind. Denken wir an den Syrien, an Afganistan, an Dafur usw. Es geht um das Chaos des Gottlosen. Es geht in dieser Isaias-Perikope, übersetzt durch Martin Buber, nicht nur um die Tränen des einzelnen. Es geht um die Menschheitsgeschichte überhaupt. Ein „Antlitzflor“, eine Trauerhülle, liegt über dem Antlitz der Völker. Dieser Schleier ist nicht das Bild für das Nicht-sehen-können, für das Irren, und Blindsein der Menschen, es ist hier vielmehr das Bild der Trauer, aus der die Tränen kommen, das Leid der Welt, der Schmerz und die trostlose Verlassenheit, die das Herz zusammen presst, die Tränen, die an allen Dingen der Schöpfung hängen, weil sie endlich ist. „Sunt lacrimae rerum“ – die Dinge haben ihre Tränen, sagt der Dichter Vergil – wir leben nämlich nicht in einer heilen Welt.
Im Anfang der Schrift heißt es von der Magd Hagar, der Nebenfrau Abrahams: „Als das Wasser im Schlauch zu Ende war, legte sie den Knaben (gemeint ist Ismael) unter einen Strauch. Sie selbst ging weiter und setzte sich einen Bogenschuss weit entfernt ihm gegenüber, denn sie sagte: Ich kann das Sterben des Kindes nicht mit ansehen. So saß sie da und erhob ihre Stimme und weinte.“ – Gott lässt sie daraufhin einen Brunnen finden und man nannte diesen Brunnen fortan: „Der Brunnen des lebendigen mich Sehenden.“(Übersetzung M. Buber.) — Gott hebt die Finsternis auf, die die Menschen umfängt.
Aber ist es denn wirklich so? Ist das immer die Lösung, die Gott anbietet? Oder wo ist denn dieser Gott, wenn in Dafur, Somalia und in Afganistan und anderswo unter den Tränen ihrer Mütter die Kinder sterben, und Gott hilft nicht.
Zwischen dieser Frage und der Zuversicht des Isaias-Textes „Er vernichtet …, abwischen wird …, sprechen wird man …, jubeln wir!“ liegt doch ein Abgrund und wir können uns hier keine Brücke bauen. Für uns gibt es eben Tränen, vor denen jedes Wort vom Trost uns im Munde erstickt. Es geht um Gottesfinsternis pur, wie M. Buber in seinem Buch Gottesfinsternis meint. Und doch lebt dieser Text von der Gewissheit, dass Jahwe alle Mächte, die dem Wohl des Menschen entgegenstehen, vernichten wird, so wie in den kananäischen Mythen Baal, der Gott der Fruchtbarkeit, Mot – dessen Name Tod bedeutet – verschlingt.
Aber die Hl. Schrift geht ja weiter und das Sprechen Gottes mit ihr. So heißt es im Neuen Testament bei Johannes: „Und Jesus weinte.“ Und im Hebräerbrief „Er hat in den Tagen seines Fleisches Bitten und Flehen mit lauten Rufen und unter Tränen dem dargebracht, der ihn aus dem Tode erretten konnte.“ Deutet sich hier nicht eine Antwort an? Geschieht es nicht in ihm, dass Gott solidarisch wird mit uns und so zum Trost wird? Sicher, es geschieht nicht von außen, sondern im letzten Beteiligtsein, im Gekreuzigtwerden und Glauben, dass es ein Auferstehen gibt, in Hoffnungslosigkeit gestoßen sein und doch für andere Zeichen der Hoffnung setzen, weinen und doch erfüllt sein von der Verheißung, dass der „Antlitzflor“ zerrissen wird, denn Gott spricht‘ vom Berg aus und das bedeutet, dass es hier um eine Offenbarungsrede geht, und die letzten Worte der Schrift lauten: „Und ich hörte eine gewaltige Stimme von Throne her sprechen: Siehe, das Zelt Gottes unter den Menschen. Er wird mit ihnen zelten, und sie werden sein Volk sein, und er wird Gott mit ihnen sein, und er wird jede Träne abwischen aus ihren Augen.“
Gott als Befreier, der sich dem Menschen zuwendet, das ist die Hoffnung, die Israel jubeln lässt, das ist die Exodus Gewissheit eines Volkes, das den Befreiungsgedanken verinnerlicht hat und dem Gott im Bunde näher gekommen ist und dadurch das Moment des Bedrohlichen im Gottesbild des Menschen verschwinden lässt. Um wie viel mehr brauchen wir Christen im Leid keine Angst zu haben, die uns blind macht. Ist doch dieser Trauerflor durch ihn, der sich in Jesus Christus dem Tode hingabt, zerrissen. und die Mauer der Unnahbarkeit Gottes durchbrochen. Hat er uns doch erlöst aus Sünde, Angst und Tod, befreit eben, wie es bei Joh. 16,33 heißt: „In der Welt habt ihr Angst; doch habt Vertrauen, ich habe die Welt überwunden.“
Hier ist sie wieder die verschlossene, gottfeindliche „Menschen – Welt“ mit ihrer Existenznot – dem „Antlitzflor“ – für die, die sich in dieser „Welt“ zu bewähren haben. Bestehen können wir diese Welt nur mit Gott, der den „Flor“ wegreißt in der Auferstehung Jesu, er ist unsere Hoffnung, die sich niederschlägt in unserem Auferstehungsglauben, in unserer Befreiung eben. Für diese gottferne Welt gibt es keine Zukunft, sie ist allein in dem Auferstehungssieg Christi zu finden, der uns eine neue Welt verheißt und damit einen neue Weltsicht gibt, die den Tod vernichtet in die Dauer dieses neuen Lebensraumes, der frei ist vom Nebel, dem Gewebe der Tränen und Sünde, eben der Schmach des Erdlandes.
„ Habt Vertrauen!“ Joh. 16,33b. In diesem Vertrauen lasst uns den Psalm 23 hören: „Gott ist mein Hirt…
Musik: F. Schubert, Ps 23, Text Moses Mendelssohn, gesungen von Camerata Musica Limburg. CD, Von dem Dome. 14
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