Liebe Leserinnen und Leser,
auf meinem Schreibtisch in der Schule steht ein pädagogischer Kalender. Jeden Monat regt er mit anderen Sinnsprüchen zum Nachdenken über Schule, den Lehrerberuf und seine Aufgaben an. Aktuell steht dort ein Spruch des großen amerikanischen Schriftstellers Mark Twain. Twain formuliert: „Ich habe mir nie meine Erziehung durch Schulbildung verderben lassen.“

So sehr ich Mark Twain auch sonst schätze, aber in dieser Hinsicht bin ich anderer Meinung. Schulbildung war und ist sicher Faktenlernen, Wissen anhäufen, unter Zwang Dinge lernen müssen, die einen eigentlich gar nicht interessieren und sich Regeln unterwerfen, deren Sinnhaftigkeit man nicht versteht.
Erich Kästner, den ich auch sehr schätze, vergleicht in seiner „Ansprache zum Schulbeginn“ Schüler mit Früchtchen, die zu Spalierobst werden sollen – Obstbäumen also, die von einem Gärtner in eine gewünschte Form gebracht werden, ge- und verbogen, beschnitten.

Auch dieses Bild finde ich für unser Comenius-Kolleg nicht passend. Skizziere ich für mich mein idealtypisches Bild von Schule, so wünschte ich mir einen respektvollen Umgang miteinander, Lehrerpersönlichkeiten, die nicht immer perfekt sind, aber mit Begeisterung unterrichten, einen Austausch auf Augenhöhe, ein Lernklima, das entwickelndes und kritisches Denken fördert.

Anfang November durfte ich eine Gruppe ehemaliger Studierender durchs Kolleg führen. Bei allen klang an, dass sie unsere Schule in besonderer Erinnerung behalten haben, dass sich ihnen neue Perspektiven eröffnet haben. Auf die Frage, wie sie es sich erklären, dass ihnen gerade das Kolleg als außergewöhnliche Lehranstalt im Gedächtnis sei, vermuteten sie, dass es zum einen mit den Ideen des Schulträgers zu tun habe, das Bewusstsein zu schärfen für gesellschaftliche Zusammenhänge, die im Argen liegen, und zum anderen mit den Lehrerpersönlichkeiten, die ihr Menschsein in den Unterricht hineintrugen.

Aber das heißt doch nichts anderes, als dass das Kolleg Einfluss genommen hat auf das Leben der Studierenden, ihnen eine andere, neue Perspektive gegeben hat, sie im besten Twainschen Sinne „verdorben“ hat. Pater Osmar ist mit dem Ende des letzten Schuljahres in den Ruhestand gegangen, aber ich bin mir sicher, dass die Idee des Schulträgers ideell und personell weiter getragen wird. Wir alten (Lehr-) Hasen haben die charismatische Gestalt eines Bischofs Adriano Hypolito im Kolleg erleben dürfen, wir haben von den Auswirkungen der Militärdiktatur in Brasilien erfahren und dem Widerstand eine Stimme gegeben. Aber wir dürfen eben nicht nur in die Vergangenheit schauen. Wir alle, Studierende, Ehemalige und Lehrende sind aufgefordert zu überlegen, wie jeder von uns den besonderen Geist des Kollegs aufrechterhalten, fördern und weitergeben kann.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie uns Ihre persönlichen Impulse und Ideen mitteilen würden.

Ihnen und Ihren Angehörigen wünsche ich ein gesegnetes Weihnachtsfest und einen gesunden Start in das Jahr 2014.

Susanne Böttcher

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