FR: Und die vielen Veranstaltungen hier im Kolleg und im Institut mit Vertretern aus Lateinamerika hatten eine neue Qualität – Dialog auf Augenhöhe?

PO: Ja, man könnte fast sagen, das Comenius-Kolleg hatte zwei Lehrerkollegien, das eine hier vor Ort mit Mathematik, Deutsch, Englisch usw., um unsere jungen Erwachsenen weiterzubilden.
Das andere Lehrerkollegium waren brasilianische Christen, franziskanische Mitbrüder, vor allem ein Dom Adriano Hypolito (Franziskaner und Bischof von Nova Igucu 1966-1994), der einfach die Impulse zu Lateinamerika in unser Kolleg hineinbrachte. Das waren Personen, die Zeugnis abgelegt haben, sodass für die jungen Leute Kirche wieder interessant wurde, sogar begeisterte. Das prophetische Zeugnis dieser Mitbrüder aus Lateinamerika hat uns enorm geholfen, unsere Orientierung zu vertiefen und richtig zum Leben zu bringen.

 

FR: Nehmen wir einen anderen Aspekt: zu nächst kamen nur junge Menschen aus Deutschland zum Kolleg, seit 1992 wollen immer mehr junge Studierende aus der ganzen Welt zum Studienkolleg nach Mettingen. In den letzten 20 Jahren kamen Studierende aus mehr als 100 Ländern. Immer wieder hört man die Frage:
Was, bitte, ist ein Studienkolleg? Und warum wollen so viele Studierende nach Mettingen? Passt das zusammen, das Schulkonzept des Studienkollegs und der Bildungsauftrag eines Weiterbildungskollegs?

PO: Der Dialogzwischen den Kulturen, zwischen den Kontinenten ist ja erst möglich, wenn Menschen sich begegnen, miteinander ins Gespräch kommen. Das kann man natürlich auf hoher intellektueller Ebene machen, durch Vorträge und Bücher, das kann man auf rein praktischer Ebene machen, indem man Sozialwerke oder Ähnliches in Gang setzt.

Wir haben versucht, ein anspruchsvolles Abitur mit unserer Option in bestimmten Fächern zu entwickeln. Das soll unsere hiesigen Studierenden befähigen, ihr Studium erfolgreich, aber auch kritisch zu gestalten. Das wird auch von unserem Lehrer-Kollegium geleistet. Und dieser Dialog ist meiner Meinung nach recht gut gelungen, denn einmal können sie hier deutsche Bildung, Kultur und Sprache vertieft kennen lernen.
Andererseits stellen unsere hiesigen Studierenden Fragen an sie als Menschen aus der so genannten „Dritten Welt“. Denen müssen sie sich stellen. Wobei unsere Erfahrung auch dahin geht, dass mancher Brasilianer, manche Brasilianerin, die aus São Paulo oder aus Curitiba kommt, auf einmal mit sozialen Fra gen konfrontiert ist, denen sie sich in ihrer Heimat nicht gestellt hat ten. Insofern versuchen wir auch Bewusst sein für die sozialen Fragen, für die sozialen Belange, zu wecken. Dabei findet nicht nur ein Abbau von Missverständnissen, sondern ein gegenseitiges Verstehen statt. Ich glaube, an bestimmten Stellen ist uns das gelungen.
Ich freue mich, dass jetzt in Brasilien der ganze Juni 2013 durch Proteste junger Menschen, junger Studenten, geprägt ist, die einfach neue soziale Strukturen ein fordern. Ich will nicht sagen, dass wir daran beteiligt sind, aber zumindest der eine oder andere, der gegen Korruption und Bildungsnotstand mitprotestiert, ist hoffentlich aus dem Studienkolleg in Mettingen hervorgegangen.

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